Wie Sportwetten zur Sucht wurden – und der Weg zurück. Ein Interview mit einem Betroffenen

Erstellt von Sabine Müller |

Ein Interview mit dem Betroffenen Simon P.

Spielsucht ist eine oft unterschätzte Abhängigkeit. Besonders Sportwetten wirken zunächst harmlos, können aber schnell in eine gefährliche Spirale führen – mit Folgen für Alltag, Beziehungen und Finanzen. Simon P. (Name von der Redaktion geändert) hat diesen Weg selbst erlebt. Heute befindet er sich auf dem Weg der Besserung und spricht offen über seine Erfahrungen.
 

Mit welchen Glücksspielen haben Sie Erfahrungen gemacht?
Ausschließlich mit Sportwetten. Ich war zwar einmal im Casino, aber das hat mich nicht wirklich gereizt.

Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie zum ersten Mal gespielt haben? Was hat Sie daran fasziniert?
Das war im Spätsommer 2020, mitten in der Corona-Pandemie. Die Wettbüros waren geschlossen, also spielte ich online. Der Mindesteinsatz lag bei zehn Euro – mehr als im Wettbüro, aber online fühlte es sich weniger schmerzhaft an. Gleich mit meiner ersten Live-Wette gewann ich 80 Euro. Das Spielfieber packte mich sofort, der Gewinn war jedoch schnell wieder verloren.

Wann haben Sie gemerkt, dass Ihr Spielverhalten problematisch wurde?

Erst nach zwei bis drei Jahren. Anfangs spielte ich nur am Wochenende. Mit einer Sport-App, die Spiele weltweit listete, wurde das Spielen auch unter der Woche zur Gewohnheit. Ich glaubte, mein Fußballwissen verschaffe mir Vorteile – ein großer Irrtum.

Wie hat sich die Glücksspielproblematik auf Ihren Alltag ausgewirkt – beruflich, privat und finanziell?

Beruflich gab es kaum Probleme. Privat hingegen drehte sich nach Feierabend alles ums Wetten – bis zum Schlafengehen. Termine machten mich nervös, weil ich in dieser Zeit nicht spielen konnte. In meiner Beziehung kriselte es, und nur mein kleiner Sohn konnte mich zeitweise vom Spielen ablenken. Finanziell geriet ich immer mehr unter Druck, nahm Kredite auf und belastete meine Kreditkarte bis zum Maximum. Das Gehalt war meist schon vor Monatsende verbraucht.

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihr Verhalten reagiert? Haben Freunde oder Familie etwas bemerkt?

Meine Konzentration ließ nach, Hobbys verloren ihren Reiz. Mein Verhalten war auffällig, aber niemand sprach mich darauf an. Die Erste, die merkte, dass etwas nicht stimmte, war meine Bankberaterin.

Gab es einen bestimmten Moment oder eine Erkenntnis, die Sie dazu gebracht hat, Hilfe zu suchen?

Ich hatte mir anfangs die Regel gesetzt, nur so viel zu verspielen, wie ich mir leisten konnte. Doch irgendwann hielt ich mich nicht mehr daran. Als mein Dispo ausgeschöpft war und ich keinen Kredit mehr bekam, war klar: Ich musste meine Sucht offenlegen.

Welche Unterstützung haben Sie in Anspruch genommen? Was hat Ihnen am meisten geholfen?

Ich habe zuerst meinen Eltern und meiner Freundin von meinem Problem erzählt und viel Unterstützung erfahren. Ich sperrte mich im System Oasis, löschte alle Apps und suchte mir bei der Diakonie Beratung. Des Weiteren suchte ich eine Schuldnerberatung auf, um zeitnah Ruhe in meine Finanzen zu bringen Ohne meine Familie – und ohne die Lebensfreude meines Sohnes – hätte ich es wohl nicht geschafft.

Was hat sich in Ihrem Leben durch den Ausstieg aus dem Glücksspiel verändert?

Ich habe wieder Freude an alltäglichen Dingen: Zeit mit meinem Sohn, Lesen, Musik, Spaziergänge. Ich kann mich besser konzentrieren und das Handy auch mal beiseitelegen – früher undenkbar, heute befreiend. Innerhalb eines halben Jahres habe ich meine Finanzen stabilisiert und keine Angst mehr vor dem Kontostand.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern – politisch oder gesellschaftlich –, um Menschen besser zu schützen?

Glücksspiel ist in Deutschland zu leicht zugänglich. Sponsoring und aggressive Werbung sollten verboten werden. Das Bewusstsein für die Gefahren muss gestärkt werden. Länder wie Italien und Spanien sind hier schon weiter, in Dänemark überwacht eine Behörde das Glücksspiel streng und bietet ein zentrales Sperrsystem. Deutschland sollte solchen Beispielen folgen.

Gibt es etwas, das Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben möchten?

Lasst euch nicht von Werbung blenden und fangt gar nicht erst an. Pflegt eure sozialen Kontakte, sucht euch euren Kick in Hobbys und denkt immer an die möglichen Folgen von Glücksspiel.

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